Naturkatastrophen und Naturrisiken am Rhein – historische Analysen und aktuelle Perspektiven

Naturkatastrophen und Naturrisiken am Rhein – historische Analysen und aktuelle Perspektiven

Organisatoren
Förderverein Geschichte in Köln (Vorsitzender: Christian Hillen), Kölnischer Geschichtsverein (Vorsitzender: Konrad Adenauer), Wirtschaftshistorischer Verein zu Köln – (Vorsitzender: Eberhard Garnatz)
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.01.2008 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Anselm Tiggemann, Köln

Einen besseren Tagungsort hätte es für Hochwasserrisiken am Rhein nicht geben können: Im Kölner Rheinauhafen fand die Tagung statt, in deren Mittelpunkt die historischen Pegelstände des Rheins vom 14. Jahrhundert bis ins 18. Jahrhundert standen. Die Referentinnen und Referenten hatte der Förderverein Geschichte in Köln zusammen mit dem Kölnischen Geschichtsverein sowie dem Wirtschaftshistorischen Verein zu Köln eingeladen.

Neben der Perspektive der Historischen Geographie war der stadt- und kulturgeschichtliche Blickwinkel vertreten. Im letzten Referat kam der Praktiker zu Wort, der die gegenwärtige Herausforderung verdeutlichte, die das Rheinhochwasser für Köln darstellt.

KLAUS PETER KLEEFELD (Bonn) führte in die Thematik ein, indem er zunächst RheinLUCIFS (Land Use and Climate Impacts on Fluvial Systems during the Period of Agriculture) vorstellte. Innerhalb dieses DFG-Bündelprojektes bearbeitete ein Bonner Projektteam historische Landnutzungs- und Siedlungsdaten. Ziel dieses Projektes HISTDATA war es, durch die Auswertung verschiedenster Quellen historische Daten zum Rhein und seiner Umgebung zu gewinnen. Dabei standen für einzelne Jahrhunderte verschiedene Quellen zur Verfügung. Während für die Zeit vor 1500 hauptsächlich Urbare als einzige Quellengattung ausgewertet werden konnten, wurden für das 18. Jahrhundert reichhaltiges Kartenmaterial (Zehnt-, Kataster-, Forst- und Rheinkarten) und umfangreiche Aktenbestände (Deichschau-, Wald- und Forst- sowie Verwaltungsakten) zu Rate gezogen. Hieraus ließen sich Aussagen zu Verlauf, Pegelständen, Rheintiefe, Uferbeschaffenheit usw. gewinnen. Überschwemmungsflächen wurden rekonstruiert und der Wandel der Kulturlandschaft am Rhein über Jahrhunderte für einzelne Bereiche nachgezeichnet.

Im Anschluss daran verdeutlichte VERENA TWYRDY (Bonn) die Terminologie zum Phänomen „Naturkatastrophe“ und die Geschichte ihrer Erforschung. Mit den zunehmenden Anzeichen eines Klimawandels gewann seit den 1970er Jahren die Historische Klimatologie stark an Bedeutung. Ergebnis des langjährigen Forschungsinteresses sind Standardwerke, wie beispielsweise die Klimageschichte von Rüdiger Glaser 1. In den 1990er Jahren stieg darüber hinaus das historische Interesse an Naturkatastrophen an, das sich beispielsweise in den Forschungen des Schweizer Umwelthistorikers Christian Pfister zeigt 2. Auch sind inzwischen einzelne Flüsse und Zeitabschnitte im Hinblick auf die Hochwasserproblematik intensiver behandelt worden 3. Bei der Erforschung von Naturrisiken und –katastrophen differenzierte Twyrdy zwischen Wahrnehmung, Deutung und Bewältigung. Bei den Bewältigungsstrategien kann zwischen geistig-religiös motivierten, technisch orientierten, materiell orientierten und stationär orientierten unterschieden werden.

Nach der Einführung in die Methodik und Vorgehensweise der Historischen Geographie verdeutlichte HENDRIK MEURS (Heidelberg) praktische Forschungserträge anhand der Topografie des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kölns in Höhe des Kölner Pegels bei Stromkilometer 688 4. Die exakte, nachvollziehbare und überprüfbare Rekonstruktion macht es möglich, aus den bekannten Scheitelwellen eines Hochwassers die entsprechenden Spitzenabflüsse zu berechnen. Meurs Berechnungen basieren auf Daten, die er aus historischen Darstellungen, Plänen und Karten generiert hat. Als Ergebnis der präzisen Berechnung von historischen Hochwassern kann er feststellen, dass die Pegelstände bei den Kölner Rheinhochwassern der 1980er und 1990er Jahre im Zeitraum von 1342 bis 1782 mehrmals überschritten wurden. Das macht die aktuellen Risiken nachvollziehbarer und die Rekonstruktion jenseits des stadt- und kulturgeschichtlichen Interesses, das beim Vortrag von Klaus Wolf im Mittelpunkt stand, für Versicherungen und Flussanwohner interessant.

Anhand des Stadtplans von Johann Valentin Reinhardt, der ersten kartographischen Darstellung Kölns in vollkommener Zweidimensionalität 5, erläuterte KLAUS WOLF (Dresden) die Auswirkungen des Eisgangs von 1784. In Köln, einem Zentrum frühneuzeitlicher Kommunikation, führte der Eisgang zu einem Schub von Publikationen. 35 Tote waren zu beklagen, schätzungsweise 2.700 Gebäude waren überflutet worden. 14 Klöster, Kirchen und Stifte und die Stadtbefestigung waren stark beschädigt worden. In der Not arbeiteten die konkurrierenden Institutionen, der kaufmännisch dominierte Rat der Stadt und die zunftbürgerlich geprägte Deputatschaft, gut zusammen. Der Kölner Autor Reiner Joseph Classen zählte noch mehr als drei Jahrzehnte später den Wiederaufbau nach den Verwüstungen des Eisgangs von 1784 zu den wichtigsten Ereignissen in der Geschichte seiner Heimatstadt.

Auch gegen Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren sich die Kölner der Hochwassergefahr bewusst, was REINHARD VOGT (Köln) von der Hochwasserschutzzentrale anhand von Aussagen ehemaliger Kölner Oberbürgermeister belegte. Dabei wurden auch die Ursachen (zunehmende Versiegelung: Bebauung von Retentionsflächen) klar benannt. Bei der weiteren baulichen Entwicklung der betroffenen Stadtteile wurden diese Erkenntnisse nur unzureichend berücksichtigt. Viele kleinere und größere Rheinhochwasser mit zum Teil erheblichen Schäden folgten. Nach den beiden Hochwasserereignissen 1993 und 1995 wurde vom Rat der Stadt Köln das bis heute maßgebliche Hochwasserschutzkonzept verabschiedet: Neben einem verbesserten Katastrophenmanagement und umfangreichen baulichen Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Gebiete sieht es auch eine stärkere Berücksichtigung der Hochwassergefährdung bei der Stadtplanung und –entwicklung vor.

Die Diskussion, die DETLEV ARENS leitete, verdeutlichte, welches Potential in der Zusammenarbeit von Historikern und Geographen steckt. Durch die Verbindung von Quelleninterpretation und geographischem Know-How lassen sich neue Erkenntnisse gewinnen: Die Ausmaße und Auswirkungen der Rheinhochwasser können durch die geographischen Forschungserträge besser als bisher in die Erforschung der Kölner Stadtgeschichte und der Rheinischen Landesgeschichte einfließen.

Konferenzübersicht:

Klaus Peter Kleefeld (Institut für Geographie, Lehrstuhl Historische Geographie der Universität Bonn): Einführung- Naturkatastrophen und Naturrisiken in vorindustrieller Zeit

Verena Twyrdy (Institut für Geographie, Lehrstuhl Historische Geographie der Universität Bonn): Wahrnehmung, Deutung und Bewältigung von Naturkatastrophen aus einer historisch-geographischen Perspektive

Hendrik Meurs (Geographisches Institut der Universität Heidelberg): Hochwasserstände in Köln in der Frühen Neuzeit – Ergebnisse eines Rekonstruktionsversuches für den Zeitraum 1342 bis 1782

Klaus Wolf (Dresden): Eine Naturkatastrophe im Blick der Öffentlichkeit. Der Eisgang von 1784 als Medienereignis

Reinhard Vogt (Stadtentwässerungsbetriebe Köln/Hochwasserschutzzentrale der Stadt Köln): Hochwasserschutzmaßnahmen im Raum Köln – aktuelle Perspektiven

Detlev Arens (Bonn): Moderation der Diskussion: Klimawandel und Naturrisiken vor Ort – Aus der Geschichte lernen?

Anmerkungen:
1 Glaser, Rüdiger, Klimageschichte Mitteleuropas. 1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen, Darmstadt 2002.

2 Pfister, Christian, Wetternachhersage. 500 Jahre Klimavariationen und Naturkatastrophen 1496 – 1995, Bern 1999.

3 Poliwoda, Guido N., Aus Katastrophen lernen. Sachsen im Kampf gegen die Fluten der Elbe 1784 bis 1845, Köln 2007.

4 Meurs, Hendrik, Köln und der Rhein – eine Rekonstruktion ihrer mittelalterlich geprägten Topografien anhand historischen Materials, in: Geschichte in Köln 54 (2007), S. 61-93.

5 Deeters, Joachim, Das Bild der Stadt in moderner Kartogaphie: Der Reinhardt-Plan von 1753, in: Ders./ Johannes Helmrath (Hrsg. im Auftr. des Fördervereins Geschichte Köln ): Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, Bd. II Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit 1396-1794, Köln 1996, S. 267-271.


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